Claus Köpcke – Ingenieur an der Elbe

von C. von Borstel Claus Köpcke

[21. November 2011]  Heute vor hundert Jahren, am 21. November 1911, verstarb in Dresden der Ingenieur Claus Köpcke. Wir stellen Ihnen diesen bedeutenden Baumeister, der 1831 in Borstel (Altes Land) geboren wurde, in einer kleinen Biografie vor.

Ein Wort zuvor: Das Alte Land

In seiner Ursprungszeit war das „Alte Land“ unbewohnbar, denn es war Teil des rund zehn Kilometer breiten Urstromtals, das die eiskalt strudelnden Schmelzwasser des Holozäns zwischen Blankenese und Harburg hinterlassen haben, eine amphibische Welt im nordgermanischen „Schietwetter“, hin- und hergerissen zwischen Ebbe und Flut. 

Um 1140 begann Bremens Erzbischof, ausländische Experten für Deichbau und Entwässerung ins Land zu holen, Siedler aus Holland. Sie schütteten Deiche auf, teilten die Fluren dahinter in schmale Streifen, in der Regel vier Altländer Morgen (zwei Kilometer) lang und nur 16 Meter breit, was die Verantwortung über nur 16 Meter Deich bedeutete. Sie zogen Gräben dazwischen, Fleete und Wettern, und bauten praktische Siele. Und damit das alles auch funktionierte, brachten sie ihr hochmodernes Rechtssystem mit, das den Bauern weitgehende Selbständigkeit und Freiheit von Frondiensten garantierte, solange sie das ihnen zugewiesene Deichstück instand halten konnten. Zweimal im Jahr ritt der Deichrichter mit seinen Geschworenen die Strecke ab. Wer die Deichbeamten bei der Deichschau störte oder beleidigte, wurde bestraft. Wer den Deich nicht perfekt instand hielt, musste – wie überall an der Küste – weichen („Wer nich will dieken, de mut wieken“) und wurde in einer rituellen Zeremonie, der Verspatung, enteignet.

ck9Der Ort Borstel bei Jork im Alten Lande, auch Kirschenlande genannt. Diese Postkarte stammt aus dem Jahr 1905.
Alle Fotos, soweit nicht anders genannt: Sammlung Dierk Lawrenz

Von Stade aus wurde das Land kultiviert, eingedeicht und trocken gelegt. Und weil immer wieder neue Abschnitte hinzukamen, gab es „Altes Land“ und „Neues Land“. Bald wurde die ganze Marsch zwischen Stade und Hamburg „dat ole Land“ genannt, obwohl es handgemachtes Neuland war, eine Art Großpolder, unterteilt in drei Meilen. Die Erste Meile reichte von Stade und dem Flüsschen Schwinge bis zur Lühe, die Zweite Meile bis zur Este, die Dritte Meile bis zur alten Süderelbe.

ck12Die Borsteler Reihe im Kreis Jork in einer Ansicht aus den zwanziger Jahren.

Die Chronik des Alten Landes gehört auch eine Geschichte blühenden Wohlstands. Die Mühe lohnte, das Land ist fruchtbar – und war immer wieder ein Zankapfel der Großmächte. Im Dreißigjährigen Krieg von den Schweden erobert, kam es 1712 in dänischen Besitz, wurde unter englischem Druck an den Kurfürsten von Hannover verkauft, der kurz zuvor Englands Königskrone geerbt hatte. 1866 fiel das Königreich Hannover und damit auch das Alte Land an Preußen. Jahrhunderte lang galt die Landschaft als Speckgürtel vor den Toren Hamburgs. Der Reichtum zeigte sich in schönen Repräsentationsbauten. Mensch und Tier lebten unter einem Dach; es gab reichlich Raum für Heu und Stroh unter den gewaltigen Eichenbalken der Hallenhäuser. Gräben, Fleete und Flüsse wurden als Transportwege genutzt. An den Fluss- und Prielmündungen entwickelten sich kleine Häfen, Werften und Reedereien bis heute zu einer weltweit operierenden Schifffahrt. Die Seefahrtschule in Grünendeich bildete unzählige Kapitäne für die Große und die Kleine Fahrt aus. Fast jede Familie besaß früher einen Kahn, mit dem man die kleinen Häfen erreichte. Jollen und Ewer sorgten dort für den Weitertransport. Diese Schiffe waren aus Holz gebaute, sehr flach gehende Segelschiffe mit einem Plattboden. 

ck13Damals wie heute ist die Windmühle das Wahrzeichen von Borstel an der Elbe.

Claus Köpcke

In diese Landschaft hinein wird Claus Köpcke am 28. Oktober 1831 in Borstel, damals einem Dorf bei Jork, geboren. Jork, heute die heimliche Hauptstadt des Alten Landes, hat seinen Namen wohl nach einem Hof (curia majorica) erhalten. 1221 wird es als Majorc zum ersten Mal genannt. 

Der Vater Johann Köpcke verdiente sein Auskommen mit dem Handel von Obst, der ihn auch in so entfernte Städte wie Berlin führte. Ob es sich bei ihm um den gleichen Altländer Obsthändler Johann Köpcke handelt, der 1848 mit seiner Familie und einem Ewer nach Berlin zog, um vom Schiff aus die Früchte zu verkaufen, kann nicht belegt werden. 1907 brachte die dritte in Berlin ansässige Generation der Familie Köpcke eine auch für die Hauptstädter sehr wichtige Frucht auf den Markt: die Banane. 

Claus Köpckes Interesse an den Neuerungen der Zeit wurden von seinen Lehrern und den Eltern unterstützt, so dass ihn sein Weg auf das Athenaeum in Stade führte. Zwischen 1830 und 1874 fanden dort einschneidende Veränderungen statt, eine „Maturitätsprüfung“ (Abitur) wurde eingeführt. Zudem erhielt die Stader Schule als einzige in der Provinz Bremen/Verden neben dem Domgymnasium in Verden den Rang eines vollwertigen Gymnasiums, das den Abiturienten die Studierfähigkeit bescheinigen konnte.

Von besonderer Bedeutung waren aber auch einige industrielle Innovationsschübe, die sich auch im Elberaum und in der nahen Hansestadt Hamburg auswirkten. Dampfgetriebene Maschinen, die Dampfschifffahrt auf der Elbe und die gleich nach dem Großen Brand von 1842 in Betrieb genommene Hamburg–Bergedorfer Eisenbahn sind nur einige Beispiele. In den Jahren darauf folgten weitere Bahnstrecken von und nach Hamburg und Altona, so u. a. Altona—Kiel, Berlin—Hamburg und Hannover—Harburg. Der Bau der letztgenannten Strecke war dafür verantwortlich, dass die bis dahin unbedeutende Stadt Harburg zum wichtigsten hannoverschen Hafen wurde. Der inzwischen 17jährige Claus Köpcke nutzte diese Bahn im Herbst 1848, um an seinen Studienort zu gelangen, denn seine Eltern ermöglichten ihm den Eintritt in die Polytechnische Schule Hannover. In diesen im wahrsten Sinne revolutionären Zeiten unterrichteten dort Lehrer wie Karl Karmasch, Ludwig Debo und Ferdinand Schwarz bautechnische Fächer, die der zunehmenden Bedeutung der in immer kürzeren Zeiträumen gemachten Entwicklungen Rechnung trugen. 

Köpcke und die Eisenbahn

Im Semester 1851/52 übernahm der Vorsteher der Königlich Hannoverschen Staatseisenbahnen Adolph Funk (1819-1889) in der Polytechnischen Schule den Unterricht im Fach Eisenbahnbau, weil ein bevorstehender Wechsel der Lehrkräfte nicht nahtlos vollzogen werden konnte. Zwischen Köpcke und Funk entstand bald eine Freundschaft, die für den jungen Studenten nachhaltige Folgen mit sich brachte. Gleich nach dem Ersten Staatsexamen des jungen Studenten vermittelte Funk ihm eine Anstellung beim Bau der Südbahn Hannover—Kassel. Claus Köpcke hatte somit eine gute Gelegenheit, bei so wichtigen Bauabschnitten wie dem tiefen Einschnitt bei Drangsfeld, einen praktischen Einblick zu nehmen. Er wird an diesem besonderen Streckenabschnitt nicht direkt mitgearbeitet haben, denn seine nächste Aufgabe wartete schon 1854 in Harburg auf ihn. Der schwierige, letzte Streckenabschnitt Hannover—Kassel wurde indes erst im Frühjahr 1856 fertig gestellt. 

Harburg hatte zwischen 1845 und 1849 seinen Binnenhafen erheblich ausgebaut, dieser war im Gegensatz zum Hamburger Hafen tideunabhängig angelegt und als Dockhafen durch eine Schleuse von der Elbe getrennt. 1847 hatten die Schienenstränge aus Hannover die Stadt südlich der Elbe erreicht. Der Kopfbahnhof am Hafen östlich der Altstadt ermöglichte schon den direkten Güterumschlag. Außerdem hatte Harburg 1848 das Freihafen-Privileg erlangt und es bis zum Beitritt Hannovers zum Deutschen Zollverein 1854 behalten. Harburg wurde zu einem rasch wachsenden und für Hannover wichtigen Hafen- und Industriestandort, vor allem im Bereich der Verarbeitung von Kautschuk und Ölsaaten. Die neuen Zollbestimmungen ließen sich aber mit den bereits vorhandenen Gebäuden schlecht umsetzten, so dass Claus Köpcke die Aufgabe bekam, ein Gebäude zu errichten, das diesen Vorschriften entsprach. Dabei musste die zollamtliche Kontrolle und Lagerung von erheblichen Gütermengen gewährleistet sein, außerdem sollten die Verladung und der direkte Warenübergang vom Schiff in Eisenbahnwaggons möglich sein. Eine große Aufgabe für einen jungen Ingenieur, denn sämtliche Planungen und die logistischen Herausforderungen lagen in seinen Händen. Ob die verheerende Neujahrsflut von 1855, bei der große Teile des benachbarten Wilhelmsburgs und des Alten Landes zerstört wurden, auch die Konzepte Köpckes durcheinander brachten, lässt sich nicht belegen. Er konstruierte aber eigens für diese Baustelle eine „Wasserschöpfung“ nach dem Prinzip der Archimedischen Schraube. Die hier erzielten Erfahrungen sollten Köpcke auch in Geestemünde und Leer hilfreich sein, denn auch hier wurden Zollvereins-Niederlagen errichtet.

ck10Die ehemalige Zollvereins-Niederlage in Leer ist noch heute erhalten, hier eine Ansicht aus dem Jahr 2009.

In Geestemünde erhielt Köpcke zudem den Auftrag, für eine funktionierende Frischwasserversorgung der Bevölkerung und der auf die Abfahrt nach Übersee wartenden Auswanderer zu sorgen. Bisher war man es gewohnt, das Brauchwasser für Maschinen und für die Ernährung aus Zisternen abzudecken. Der Ingenieur berechnete einen Tagesbedarf von ca. 100 Kubikmetern am Tag und errichtete eine Brunnenanlage östlich des Hafens. Schon jetzt, in diesen frühen Anfangsjahren drängt es den begabten Ingenieur die Bautechnik zu optimieren. So entwickelte er eine Theorie, Bauträger zu berechen, statt sie nach Erfahrungswerten einzusetzen. Die Beiträge, die Köpcke zu diesem Thema verfasste, erregten in Kollegenkreisen Aufsehen.

Besondere Anerkennung erhielt Köpcke nach seinem zweiten Staatsexamen, das er 1858 ablegte. Die Direktion der Königlich Hannoverschen Eisenbahnen gewährte ihm ein Reisestipendium für eine fünfmonatige Bildungsreise nach England, Frankreich, Belgien und Holland. Besonders gefreut haben wird diese Entwicklung seinen Mentor Adolph Funk, denn schon 1862 beantragte dieser die Versetzung Köpckes nach Hannover in sein Büro der Generaldirektion. Hier konnte er in leitender Position die Entwicklung des Schienenverkehrs im Königreich Hannover begleiten. Sein Wissen gab der 32jährige Ingenieur bereits 1863 an der Polytechnischen Schule in Hannover an Studenten weiter, die er als Repetitor auf die bevorstehende Abschlussprüfung vorbereitete. Fast selbstverständlich in diesen Jahren der Industrialisierung war die Mitgliedschaft im Architekten- und Ingenieurverein. Claus Köpcke trat ihm bereits im Jahr 1856 bei und engagierte sich stark, schrieb Berichte über seine Reisen und Rezensionen. Im Gegenzug erhielt er Anregungen, die für sein weiteres Wirken von Bedeutung sein sollten. 

Mitte des 19. Jahrhunderts bekam Eisen auch als Bauelement immer mehr Bedeutung. Die Wege der Eisenbahn ließen sich auf Grund der geologischen Gegebenheiten nicht so einfach bauen, wie die für Pferdefuhrwerke. Immer besser werdende Herstellungsverfahren beschäftigten auch die Bautechniker, so wurde nach immer neuen Einsatzmöglichkeiten für dieses Baumaterial gesucht. Diese Begeisterung muss auch Claus Köpcke erfasst haben, wie sonst hätte sich der Bauingenieur, der sich vorrangig mit Hoch- und Wasserbauten beschäftigte, an den Diskussionen beteiligen können?

Besonderen Gesprächsstoff bot die von dem aus Thüringen stammenden Johann August Röbling (1806 – 1869) gebaute Stahlhängebrücke über die Niagarafälle. Röbling hatte als Erster eine Brücke dieser Art, mit solcher Spannweite und den Belastungen des Schienenverkehrs standhaltend, geplant und umgesetzt. Man beschäftigte sich intensiv mit Problemen der Schwingungen, der Verformungen und der extremen Belastungen durch Dampfzüge. Als österreichische Ministeriumsunterlagen die Direktion in Hannover erreichten, wurde Claus Köpcke damit beauftragt, diese zu prüfen. Köpcke war es auch, der neben dem preußischen Konstrukteur J.W. Schwedler (1823 – 1894) und dem Erbauer der Straßnitzer Kettenbrücke, F. Schnirch (1791 – 1868), nach Lösungen zur Versteifung von Hängebrücken suchte. Köpckes Idee ein drittes Gelenk in das statische System einzufügen, wurde zuerst beim Bau der Berliner Unterspree-Brücke von Schwedler umgesetzt.

Weder die politischen Wirren des Deutschen Krieges (Preußen-Österreich) von 1866, in dem Hannover besetzt wurde, noch der Beitritt Hannovers zum Norddeutschen Bund, konnten der beruflichen Laufbahn des Bauingenieurs schaden. Köpckes kontinuierlich guten Leistungen bei der hannoverschen Staatsbahn und seine Veröffentlichung sorgten für einen hervorragenden Ruf. So stieg er innerhalb der Generaldirektion zum Vorstand des technischen Büros auf und behielt diese Stellung auch, als Hannover eine preußische Provinz wurde.

Auch das Privatleben des jungen Bautechnikers muss in diesen Jahren aufregend gewesen sein. Noch im Kriegsjahr heiratete Köpcke Friederike Lüdeking und wurde ein Jahr später Vater einer Tochter. 

Als das Königlich Preußische Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten ihn 1868 nach Berlin rief, nahm er die Stellung im technischen Büro für Eisenbahnangelegenheiten an und wurde damit Nachfolger vom vorstehend genannten Konstrukteur Schwedler. Den Ruf an die Polytechnische Schule in Stuttgart als Lehrer für Ingenieurwissenschaften hatte Köpcke, wohl aus familiären Gründen, 1865 „überhört“. 

Zurück an die Elbe

Über die Gründe des schnellen Wechsels von Berlin nach Dresden lässt sich nur spekulieren, jedenfalls übernahm Köpcke dort 1869 einen Lehrauftrag an der Polytechnischen Schule und war damit zurück an der Elbe. Selbstsicher forderte Köpcke in Dresden die Ernennung zum Königlich Sächsischen Regierungsrat mit einem Jahresgehalt von 2.000 Talern (heute etwa 3.000 Euro) und übernahm die Professur für Wasser-, Straßen- und Eisenbahnbau. Zu seinen Studenten muss Köpcke ein gutes Verhältnis gehabt haben, denn drei seiner Schüler werden später Abschnitte ihres beruflichen Lebens mit ihm teilen. Warum Claus Köpcke 1872 um seine Entlassung bat, bleibt unklar.

Sachsens König Johann (1801 – 1873), ein Förderer des sächsischen Eisenbahnwesens, ernannte ihn zum Geheimen Finanzrat und unterstellte ihm das zweite Referat in technischen Angelegenheiten der Staatseisenbahnen. Somit hatte der Ingenieur die Aufgaben des schwer erkrankten Oberingenieurs und Majors a. D. Robert Wilke (1804 – 1889) – dem Erbauer der Göltzschtalbrücke, die noch heute als größte Ziegelbrücke der Welt der Sachsen-Franken-Magistrale gilt und 2009 den Titel „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ verliehen bekam – zu übernehmen. 

ck1Die Eisenbahnlinien im Freistaat Sachsen, Stand 1910.

Das Vorhaben der Sächsischen Staatseisenbahn sah vor, jede Stadt mit einem Bahnanschluss auszustatten, so dass die Einwohner innerhalb einer Stunde den nächsten Bahnhof erreichen konnten. Industrie und Landwirtschaft stellten die zweite große Aufgabe an Köpcke, auch sie forderten den Anschluss an das Eisenbahnnetz. Seine Pflichten bestanden vorwiegend darin, das bereits bestehende Netz der staatlichen Bahnen und die der privaten Gesellschaften zu einer funktionierenden Einheit zusammen zu fassen. Gebaut wurden die Strecken damals in Normalspur (1435 mm), was zunehmend diskutiert wurde. Schmalspurbahnen waren kostengünstiger zu bauen und auch zu betreiben, diese Ansicht setzte sich aber erst nach einer Konferenz in Hamburg durch. Claus Köpcke wurde während dieser Tagung Mitglied einer Kommission, die in den folgenden zwei Jahren den Betrieb und den Bau von Nebenbahnen beobachten und dann berichten sollte. Er selbst äußerte sich aber erst 1877 in einem Artikel zu dieser Diskussion und stellte Nebenbahnen auf kürzeren Strecken in Frage. Der kühl rechende Finanzbeamte vertrat die Meinung, dass die Eisenbahn bei kleinen Entfernungen nicht mit einer guten Straße konkurrieren könne. 

Köpcke und der Brückenbau

Obwohl sich Claus Köpcke schon seit seiner Zeit im Königreich Hannover mit dem Bau von Brücken beschäftigte, hatte er erst durch den Einsturz der Elbbrücke bei Riesa im Jahre 1876 Gelegenheit, seine Stahlkonstruktion umzusetzen. Auch hier soll Köpckes spektakulärer Rettungsversuch der Brückenpfeiler nicht unerwähnt bleiben. Er ließ Ketten um die Pfeiler legen, um sie gegen den Druck des Hochwassers zu stützen und verließ als letzter die Brücke, bevor sie nun doch einstürzte. Für den geplanten Neubau ließ das Finanzministerium, also C. Köpcke selbst, von mehreren Ingenieuren Gutachten anfertigen. Beide Konstruktionen Köpckes, die Eisenbahnbrücke und auch die vom sächsischen Staat genehmigte und direkt daneben erbaute Straßenbrücke, konnten seit 1878 bis Ende des Zweiten Weltkrieges genutzt werden. 

ck2Die Elbbrücke in Riesa.

Der Architekt stellte in seinem langen Berufsleben jede Menge statische Überlegungen und Berechnungen zu verschiedenen Brückenbau-Arten an. Beim Bau des Gerüstpfeiler-Viadukts über das Mittweidatal bei Markersbach im Erzgebirge und beim Bau vom Pendelpfeiler-Viadukt über das Oschütztal in Weida wirkte er im Hintergrund und überließ Manfred Krüger die Konstruktionen. Beide Überführungen wurden bei nachfolgenden Streckenplanungen für den Eisenbahnbau als Musterlösung angesehen.

ck4Der Eisenbahnviadukt in Weida, hier in einer Ansicht aus dem Jahr 1910.

Beim Bau des Viadukts in Weida wurde von dem Ingenieur-Trio, W. Fränkel, M. Krüger und C. Köpcke erstmals ein umfangreiches Messprogramm durchgeführt. Bereits bestehende Messinstrumente wurden weiterentwickelt und neue gefertigt, so ließen sich die Berechnungen in der Praxis kontrollieren. Die Konstruktionen mit neuen Baumaterialien forderten ihre Bestätigung, seither gilt die Messtechnik im Bauwesen als anspruchsvoller Zweig der Bauforschung und Bauüberwachung. 

Das Köpcke-System der versteiften Hängebrücke mit drei Gelenken wurde bereits 1868/69 von Peter Schmick beim Bau des „Eisernen Stegs“ in Frankfurt/M. und 1877 beim Brückenbau über den Monongahelafluß bei Pittsburgh in den USA umgesetzt. Andere Ingenieure konnten damals nicht dazu bewegt werden, Köpckes Innovationen zum Vorspann bei Brückenbauten in ihre Arbeiten einfließen zu lassen, seine Ideen gingen verloren und wurden nur selten in den Standardwerken zum Eisenbahn-Brückenbau erwähnt. Als zwischen Loschwitz und Blasewitz eine Brücke über die Elbe gebaut werden sollte, mussten die Dresdener Wasserbau-Direktion und das Finanzministerium die technischen Kriterien festlegen. Damit erhielt der Ingenieur Köpcke die Gelegenheit zum Bau einer Hängebrücke. Er projektierte das „Blaue Wunder“ und ließ es wieder unter der Bauleitung von Manfred Krüger errichten.

ck8Blick von der Loschwitz-Höhe auf die Hängebrücke zwischen Loschwitz und Blasewitz, das „Blaue Wunder“.

Die feierliche Eröffnung fand am 15. Juli 1893 nach knapp zwei Jahren Bauzeit statt. Noch am gleichen Tag wurde die erst wenige Tage zuvor eingerichtete erste elektrische Straßenbahnlinie Dresdens über die Brücke zum Körnerplatz in Loschwitz verlängert. Das „Blaue Wunder“ wurde 1935 umgebaut, beide Bürgersteige wurden auf die Außenseiten verlagert um eine größere Fahrbahnbreite zu erreichen. Die Brücke erlitt keine Kriegsschäden, weil mehrere Einwohner der Elborte eine Sprengung verhinderten. Trotzdem wird heute wegen des fortgeschrittenen Alters über die Erhaltung nachgedacht. Die Verkehrsbelastungen der Brücke sind hoch und ihr Erhalt für Zwecke des (leichten) Fahrzeugverkehrs ist durch routinemäßige Pflege nur noch bis ca. 2030 möglich.

Wie bereits erwähnt, hatte Claus Köpcke als Geheimer Finanzrat die Verantwortung für das sächsische Eisenbahnnetz und somit auch die Möglichkeit den inzwischen notwendig gewordenen Um- und Ausbau des Verkehrsknotens Dresden zu beeinflussen. Die rasante industrielle Entwicklung mit den, oft sehr unterschiedlichen, wirtschaftlichen Interessen, der Kauf bisher privat geführter Eisenbahnen und die Zusammenführung der Verkehrsträger sollten zu einer Mammutaufgabe des Ingenieurs werden, die ihn für den Rest seines Arbeitslebens beschäftigen sollte. Er ließ ein Planungsbüro bei den Königlich Sächsischen Staatsbahnen einrichten und setzte Baurat Otto Klette als dessen Leiter ein, auch die, für die eingerichteten einzelnen Bauabschnitte zuständigen Personen bestimmte der Ingenieur selbst. An dieser Stelle kann nur ein kleiner Einblick in die gigantischen Bauleistungen in Dresden Ende des 19. Jahrhunderts wiedergegeben werden: Da die vorhandenen Hafenanlagen links und rechts der Elbe dem Fortschritt nicht mehr genügten, wurde ein neuer Hafen in einem Altarm des Flusses angelegt und mit Gleisanschlüssen versehen. Um den Überflutungen der Weißeritz zu entgehen wurde ihr Lauf korrigiert, der Aushub dieser beiden Flussbaustellen wurde für Bahnbauten des Rangierbahnhofs Friedrichstadt verwendet. Köpcke setzte hier die Erkenntnisse seiner Reisen zu den Rangierbahnhöfen in Liverpool und Pittsburgh um, er ließ Ablaufberge und kleinere „Eselsrücken“ anlegen und verkürzte so die Zeit der Rangierarbeiten. Der Ingenieur berechnete hier, um den Streit der Mastenhöhe für die Lampen zu beenden, die optimale Ausleuchtung des Geländes und brachte die mit Sand gefüllten Gleise zur Anwendung. Mit ihrer Hilfe konnten Unfälle verhindert und Schäden an Waggons und Transportgut vermindert werden. Als der Rangierbahnhof mit all seinen Neuerungen am 1. 5. 1894 seinen Betrieb aufnimmt, hat sich die Bearbeitungsdauer der einzelnen Wagen um 19 Stunden verringert, d.h. in heutigen Maßstäben, um mehr als zwei Arbeitstage. Zeitgleich errichteten die Sächsischen Staatsbahnen den Werkstättenbahnhof in dem alle in Dresden und Umgebung beheimateten Normal- und Schmalspurlokomotiven sowie Wagentypen repariert wurden. Die diagonal zur Hauptrichtung ausgerichteten Gleise führten direkt in die Gebäude, so konnten ausbesserungswürdige Güterwagen direkt vom Ablaufberg gesammelt und dem Ausbesserungswerk zugeführt werden. Nach dem Elbehochwasser im März 1845 hatte der Vermessungsinspekteur K. Pressler bereits angeregt, das Flussbett der Weißeritz umzuleiten und das entstehende Gelände für einen Zentralbahnhof zu nutzen. Dieser Plan wurde nun aufgegriffen und das ehemalige Flussbett für eine Verbindungsbahn zwischen den Dresdner Fernbahnhöfen genutzt. Anstelle eines Zentralbahnhofes wurde nun jedoch ein einfacher Personenbahnhof, aber mit Wartesälen, Gastronomie und Abfertigungsschaltern, auf Höhe der Wettiner Straße eingerichtet. 

ck6Der Hauptbahnhof in Dresden in einer Ansicht aus dem Jahr 1900.

Im Jahr 1892 wurde ein bundesweiter Wettbewerb für den Bau des Empfangsgebäudes für den neuen Dresdener Hauptbahnhof ausgeschrieben. In der Jury saß auch Claus Köpcke. Er konnte seine Erfahrungen mit Gelenkkonstruktionen in die Pläne der drei Architekten die, die Konkurrenz gewonnen hatten einfließen lassen. Der Bahnhof, die Umbauten der Gleise, die neuen Gleisdreiecke und weitere Optimierungen der Eisenbahn waren am 17. April 1898 soweit abgeschlossen, dass der Bahnhof dem Verkehr übergeben werden konnte. Man ging bei den Planungen des Hauptbahnhofes davon aus, dass die neuen Anlagen für etliche Jahrzehnte ausreichen würden. Das Verkehrsaufkommen entwickelte sich jedoch rasanter als angenommen, sodass bereits vor Beginn des Ersten Weltkriegs erste Erweiterungen geplant wurden.Während der mehr als zehnjährigen Bauzeit des Verkehrsknotens Dresden wurden fünf große ehemalige Kopfbahnhöfe zu Durchgangsbahnhöfen umgebaut, entstanden Brücken (u. a. die Eisenbahnbrücke neben der Marienbrücke, wieder unter der schon erprobten Bauleitung von Manfred Krüger) und Heizhäuser, die später auch dem Henschel-Wegmann-Zug als Heimat-Dienststelle dienten. Schon 1884 benutzte der Ingenieur Neuerungen wie das Relief-Fotogramm und das Planimeter zur Darstellung von Geländeformen und zur Berechnung der Erdbewegungen bei der Trassierung von Schmalspurbahnen. Köpcke legt wert auf die Feststellung, dass es sich nicht um seine Erfindungen handelt, riet aber eindringlich zu deren Anwendung.

Köpcke und die Türme

Zu einem weiteren Interessensgebiet Köpckes gehörten, schon seit Studienzeiten in Hannover, die Beanspruchungen, denen Kirchtürme ausgesetzt sind. Er stellte fest, dass Turmhelme ähnlichen Schwingungen standhalten müssen, wie Hängebrücken. Bereits 1868 entwarf Claus Köpcke, auf Wunsch seines ehemaligen Professors Conrad W. Hase, einen Glockenstuhl für St. Katharinen in Osnabrück und berichtet ein paar Jahre später über den auch in Stahl ausgeführten Glockenstuhl in Neuenkirchen. Dieser Bericht zeigt auf, dass eine hölzerne Aufhängung kostenintensiver gewesen wäre, als die nun gewählte Stahlkonstruktion. In Dresden konstruierte Claus Köpcke ebenfalls Glockenstühle, hier arbeitete er zusammen mit Gotthilf L. Möckel an St. Johannis, die leider im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, und an der Lukaskirche. Seine Erkenntnisse über Glockenaufhängungen meldete der Ingenieur 1898 zum Patent an. 

Köpcke als Gutachter

ck5Blick von der Loschwitzhöhe auf das Elbtal und Dresden. Im Vordergrund die Loschwitzbahn. Am oberen linken Bildrand ist das „Blaue Wunder“ zu sehen.

Noch mit über siebzig erstellte der Dresdener Finanzrat ein Gutachten zur Wuppertaler Schwebebahn, die im März 1901 den Verkehr aufnahm. Da schon während der Planungsphase zwischen beiden Städten Verbindungen bestanden, verwundert es nicht, dass auch die Loschwitzer Bergbahn nur zwei Monate später in Betrieb ging. Claus Köpcke wird auch hier seine Erfahrungen beigesteuert haben.
Das lange Arbeitsleben des studierten, aber nie promovierten Ingenieurs wurde durch die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Hannover anlässlich seines 70. Geburtstags 1901 gekrönt. Dresden ließ es sich nicht nehmen, dem immer noch jeder Neuerung aufgeschlossenen Finanzrat zum 80. Geburtstag die Titel „Exzellenz“ und „Wirklicher Geheimer Rat“ zu verleihen. Bereits seit Wochen erkrankt, starb Claus Köpcke heute vor 100 Jahren, am 21. November 1911. Die Beisetzung fand auf dem erst im Mai des Jahres eröffneten Urnenfriedhof Tolkewitz statt. 

Dresden benannte die Asterstraße vor dem Finanzministerium in der Inneren Neustadt 1946 in Köpckestraße um und schaffte damit eine bleibende Anerkennung. Unterdessen erinnert auch der Verein zur Förderung Sächsischer Schmalspurbahnen e.V an Dresdens Bauingenieur des ausgehenden 19. Jahrhunderts und verleiht seit 2003 den „Claus-Köpcke-Preis“.

cache_2411648916Der sächs. Ministerpräsident Milbradt (3.v.l.) verleiht den Claus-Köpcke-Preis an CFT-Video GmbH.
Foto: Slg:CFT

In den Jahren 2007 und 2009 erhielt CFT Video GmbH, unser Produktionspartner für die EK-Videothek, den seit 2005 ausgelobten Medienpreis für die langjährige Berichterstattung. 

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Literatur:
  • D. Conrad; Claus Köpcke, Bauingenieur und Wissenschaftler, ISBN: 979-3-942422-04-8
  • H. Mundhenke; Die Matrikel der Höheren Gewerbeschule der Polytechnischen Schule und der Technischen Hochschule zu Hannover • http://www.ssb-sachsen.de/ck.htm